Mittwoch, 24. November 2010

Die Nachbarschaft


Mittlerweile haben wir schon einige unserer Nachbarn kennengelernt, ein bunter Mix aus netten & seltsamen Leuten :-)

Fangen wir wie versprochen mit Adriano, dem aggressiven Straßenclown, an. Dazu muss man sich zunächst einmal die Situation vor unserer Haustüre vorstellen: Es gibt hier eine dicke fette Hauptstraße, die parallel zum Meer verläuft. Von dieser geht eine weitere dicke Straße landeinwärts ab. Von dieser wiederum geht die Straße ab, auf der wir wohnen, die Rua Antonele (Antonelli). Auf der Ecke der beiden Straßen ist Paulos Restaurant. Adriano der aggressive Straßenclown gehört zu den Straßenjungs, die genau an dieser Ecke auf der dicken Hauptstraße um Geld betteln bzw. verkleidet er sich als Clown und verkauft Kugelschreiber. Neben Adriano gibt es da noch Hinkebein, der nur ein Bein hat und auf Krücken laufen muss und Silverman, der erst vor einigen Tagen zu Silverman wurde, als er begann sich den ganzen Körper (inklusive Haare) mit silberner Farbe einzuschmieren. Adriano, Hinkebein und Silverman gehen auch bei Paulo ein und aus und essen dort manchmal zu Mittag. Während Hinkebein nebenbei eigentlich nur hinkt und Silverman einfach nur silber ist, möchte Adriano gerne Deutsch lernen und fragt uns oft was die wichtigsten brasilianischen Sätze auf Deutsch heißen, wie zum Beispiel „Kau nicht deine Fingernägel“ oder auch „Er ist gehörnt“. Er wollte aber auch die Zahlen wissen und kann bisher - nach zwei anstrengenden Deutscheinheiten - bereits bis fünf zählen (Ein, Swai, Drei, Viaa, Fumpf). Dabei wiederholt er jede einzelne Zahl mit viel Energie und Wut und streckt uns dabei die entsprechende Anzahl an Fingern entgegen, wobei er erst böse guckt und nachdem er eine Zahl gesagt hat ganz erwartungsvoll, ob es richtig war. Wie ihr euch vorstellen könnt, ist es schwierig, dabei nicht zu lachen!
Das Gute an der Sache ist, dass wir sie kennen und sie uns, denn so nett die Jungs sind und so leid sie mir oft tun, sind sie doch auch häufig betrunken und unberechenbar und Hinkebein war anscheinend auch schon zweimal im Knast.
So lustig sich das Ganze anhört, so bedrückend ist das Thema aber auch. Es vergeht kein Tag, an dem man nicht an einem auf dem Boden schlafenden Menschen vorbeikommt und an fast jeder Ecke wird um Geld gebeten. Man ist hier jeden Tag mit Armut konfrontiert. Es wäre schön, gäbe es einen Weg zu helfen, aber mehr als ihnen ein Lächeln oder etwas Geld oder Essen zu geben kann ich momentan wohl nicht machen.

Nun aber nochmal zurück zu unseren Nachbarn. Würde man eine Umfrage starten, die nach dem wohl bekanntesten und üblichsten Tiergeräusch als Weckruf fragte, so gäben wohl die meisten das Krähen eines Hahnes an. Aber nicht auf der Rua Antonele: hier wird man auf ganz exotische Weise von dem zarten Mähen einer Ziege geweckt. Leider hab ich den Namen der Ziege auch bei der dritten Wiederholung nicht verstanden, ihre „menschliche Mama“ heißt allerdings Joana, arbeitet (selbstverständlich auch) bei Paulo und bringt ihre Ziege vom Land mit, wenn sie hier arbeitet. Das arme (Haus-)Tier muss dann mit etwa 30cm Spielraum an einer Laterne vorm Restaurant oder auf der Ladefläche des Pick Ups angebunden warten, bis Joana fertig mit der Arbeit ist. Bis dahin mäht sie munter (oder auch gelangweilt, das kann man nicht so ganz ausmachen) vor sich hin und beschallt die ganze Straße, übrigens nicht nur als Weckruf, sondern auch gerne mal zum Einschlafen!

Gegenüber von Paulos Restaurant ist übrigens „Habib’s“, die brasilianische Version von McDonalds und unser drittes Zuhause (das erste ist unser Apartment, das zweite Paulos Restaurant), aus dem einfachen Grund, weil es dort WLAN gibt! Mittlerweile erkennen die Kellner uns und wir die Kellner auch schon in zivil auf der Straße und werden jedes Mal mit mehr Desinteresse bei Habib’s empfangen, haben uns quasi schon in die Raumaustattung eingefügt, da wir immer am gleichen Platz sitzen. Letztes Mal hat uns nicht mal jemand gefragt, ob wir etwas essen oder trinken wollen! Hoffentlich haben wir bald unser eigenes WLAN, sodass wir nicht mehr ständig zu Habib’s müssen, denn auf Dauer ist das teuer und ungesund ;-)

Zwischen Paulos Restaurant und unserem Apartment wohnt „der Franzose“, ein älterer Herr, der vor 25 Jahren nach Brasilien ausgewandert ist und einen kleinen Laden führt, in dem es von allem etwas gibt. Manchmal nennen wir ihn auch „der Halsabschneider“, da er teilweise unverschämte Preise nimmt! Lustig ist, dass er auch nach 25 Jahren seinen französischen Akzent noch immer voll präsent hat (aber ich glaub ja insgeheim, dass er das extra macht, denn er ist ja Franzose und Franzosen sind doch eigentlich immer stolz darauf, dass sie Franzosen sind, oder nicht? ;)) Wenn man abends noch etwas bei ihm kaufen will, wird’s immer ein bisschen unangenehm, denn jeder Abend ist beim Franzosen Spieleabend und dann muss er ja das Spiel unterbrechen und abkassieren, während die Mitspieler schon ungeduldig warten und uns leicht genervt anschauen.

Zum Schluss noch ein paar Zeilen zu Paulo, der wahrscheinlich auch Vito oder Tony heißen könnte, denn manchmal macht es den Eindruck, als wäre er hier der Kopf der ganzen Bande. Wir gehören zur „familia“, wie er sagt und können das Essen bei ihm über einen Monat anschreiben lassen. Bald will er uns ins Landesinnere mit zum Haus seiner Mutter nehmen und sein Motorrad dürfen wir auch ausleihen (auch ohne Führerschein ist das kein Problem). Bald wäscht auch seine Wäscherin unsere Wäsche und wenn wir mal was brauchen, schickt er immer irgendwen zu irgendwem irgendwo hin. Es ist seltsam, aber auch angenehm, denn wir haben zumindest immer eine Ansprechperson, die viele Leute und viele Dinge kennt. In seinem Restaurant arbeiten Brüder, Neffen, Onkel und weitere Verwandte und seit neuestem auch der schwule Kellner mit der riesigen Zahnlücke, der eigentlich bis vor ein paar Tagen noch in dem Restaurant am anderen Ende der Rua Antonele gearbeitet hat.. von ihm hat Paule übrigens auch unseren Herd gekauft.
Ich hoffe ihr habt ein bisschen Spaß daran gehabt, über die Leute hier in unserer nächsten Umgebung zu lesen. Wir gehen jetzt jedenfalls bei Paulo Mittag essen (für 5 R$, umgerechnet 2 € kann man sich da mittags den Teller vollmachen und bekommt noch einen leckeren Saft inklusive) und fragen mal, ob unsere Kühlschranktür noch irgendwann diese Woche den Weg ins Apartment findet (hier dauert nämlich alles ein bisschen länger..)

Eure Lotti

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